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Liebfrauenkirche
Als die Liebfrauenkirche
im Jahre 1910 ein neues, pneumatisch gesteuertes Orgelwerk von der Firma
Weigle aus Echterdingen bei Stuttgart erhielt, geschah auch dies unter
Verwendung alten Materials. Im Meldebogen heißt es hierzu: “Beim
Umbau 1910 wurden Teile einer älteren Orgel mitverwandt, die mutmaßlich
noch in der 1803 abgerissenen alten Laurentiuskirche gestanden hat.” Diese
Orgel mit ihrem ausladend-imposanten Prospekt, “für dessen Gestaltung
im vorigen Jahrhundert namhafte Architekten sich eingesetzt hatten” , stand
auf einer heute nicht mehr existierenden Empore an der Westwand. Die
Orgel besaß 32 Register mit Principal 16’ im Hauptwerk, verteilt
auf zwei Manuale und Pedal. Ein aufwendig, als A4-Faltblatt gestalteter
Firmenprospekt von Weigle mit Abbildung der Liebfrauen-Orgel, der sich
in den Pfarrakten erhalten hat, zitiert aus dem vom Kirchenvorstand ausgestellten
amtlichen Zeugnis, das sich auf das Abnahmegutachten des Sachverständigen,
des Oberlehrers Bohn, beruft. Hiernach entsprach das Instrument den Anforderungen,
“welche man heutzutage an ein erstklassiges Orgelwerk zu stellen berechtigt
ist.” Ebenso sind zwei Zeitungsartikel abgedruckt, zunächst aus dem
Trierischen Volksfreund vom 23. Dezember 1910, demzufolge die Liebfrauenorgel
“zweifellos eines der modernsten Orgelwerke in unserer Stadt geworden”
sei. Ferner ließen sich “jetzt orchestrale Wirkungen erzielen, ein
Piano von wunderbarer Süsse, ein wohlklingendes Forte von berauschender
Kraft und Fülle.” Und der aus der Trierische Landeszeitung vom 19.
Dezember 1910 wiedergegebene Text ist eine detaillierte Orgelbeschreibung
vom “Director des Beethoven-Conservatoriums, Trier”, Kapellmeister Karl
Werding. Dieser rühmt neben dem Spieltisch, der ein Muster von praktischer
Handhabung und großer Übersichtlichkeit sei, vor allem die “epochenmachendste
Neuheit aus der Weigleschen Werkstatt, die Seraphonstimmen.” Der Ton dieser
Pfeifen mit einem doppelten, im rechten Winkel zueinander angebrachten
Labium könne “auf drei bis fünffache Stärke gebracht werden,
ohne daß der Ton an Schönheit und Feinheit” verliere. Werdings
Bericht schließt mit folgenden Zeilen: “Die neue Orgel wird am kommenden
Sonntag in der Weihnachtsmette zum ersten Male beim Gottesdienst erklingen
und auch die durch den selige Orgelmeister Matly eingeführte und für
die Liebfrauenkirche typisch gewordene “Hirtenleier” oder “Scahlmei” (Eine
Gavotte à la Musette aus einer Klavier-Suite von Joh. Seb. Bach)
wird uns wieder die Stimmung auf Bethlehems Fluren treffend illustrieren.”
Wenn sie auch in der Öffentlichkeit ungehört blieb, so äußerte
sich doch auch eine kritische Stimme unter all das Lob bezüglich des
Orgelneubaus in Liebfrauen. Es war dies Johannes Klais, der erst zwei Jahre
zuvor auf Bitten des Domkapitels die von Weigle begonnene, aber nicht zu
Ende geführte Domorgel fertigstelle. Da Klais’ Schreiben an das Bischöfliche
Generalvikariat in Trier die Zwistigkeiten zwischen katholischem und protestantischem
Orgelbau beleuchtet, sei es an dieser Stelle ganz wiedergegeben: “Aus erster
Quelle erfahre ich, dass der grosse Umbau der Orgel in der dortigen Liebfrauenkirche
der Firma Frdr.Weigle, Echterdingen - Erbauer der Trierer Domorgel - ohne
jede Concurrenz auf sachverständiges Urteil hin übertragen wurde.
Wenn ich auch vielleicht gelten lassen will, dass ich trotz meiner in Trier
speciell im Dom ausgeführten Arbeiten für die nebenliegende Kirche
unbekannt geblieben bin, so scheint mir doch unwahrscheinlich, dass in
den maassgebend gewesenen Kreisen die Leistungen der Firma Weigle unbekannt
geblieben sind. Um den Vorwurf der Subjectivität zu meiden, möchte
ich es unterlassen, mein Urteil darüber auszusprechen oder die erst
vor einigen Tagen wieder festgestellten Fehler aufzuzählen. Hat doch
bereits die Öffentlichkeit hier geurteilt. Pater Ildephons Veith,
O.S.B., Betriebsleiter und Electrotechniker der Abtey Sekkau in seinem
Aufsatz: “Das Orgelspiel mittels electr. Kraftübertragung” Greg. Rundschau,
8. Jahrg. Nr. 3. In zahlreichen Fällen nehme ich die Concurrenz minderwertiger
Firmen stillschweigend auf, in dem Vertrauen, dass die ausgeführten
Arbeiten sich selbst ihr Urteil sprechen. Doch, wohin führt es, wenn
dieser Grundsatz fehlt? Abgesehen hiervon, weist die Vergebung des ehrenvollen
Auftrags an eine protestantische Firma dem kath. Orgelbau höhnend
eine tiefere Stufe an. Demgegenüber steht die allgemeine Erfahrungstatsache,
dass eine kath. Orgelbaufirma bei protestantischen Gemeinden a priori ausgeschlossen
ist und höchstens von dort eine scharfe Zurückweisung erhalten
kann. Diese
Aeusserung Ew Hochwürden zu unterbreiten, halte ich geboten, um meine
berechtigten Interessen and die der gesamten kath. Orgelbaukunst, nicht
weniger auch die aller unserer kath. Gemeinden zu wahren. Mit vorzüglicher
Hochachtung! Ew Hochwürden ergebenster” Ob die 1910 laut Firmenprospekt
noch vorgesehenen Arbeiten (Einbau des Seraphon Gedeckt 8’ im I. Manual
sowie Ausbau der obersten Oktav im Echowerk) in den folgenden Jahren ausgeführt
wurden, ist weder aus den Pfarrakten noch aus dem Orgelmeldebogen ersichtlich.
Leider blieb die kunsthistorisch höchst bedeutsame Liebfrauenkirche
und damit auch ihre Orgel nicht vor den verheerenden Zerstörungen
des Krieges verschont, wenngleich Liebfrauen “laut Mitteilung des Provinzialkonservators
der Rheinprovinz 44/786 vom 19. Mai 1944 ... zu den drei Kirchen des Rheinlandes”
zählte, “die bei Terrorangriffen in ihrem Bestand notfalls sogar durch
Einsatz von Militär zu erhalten” seien.
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